Der (vorerst) letzte Tanz

Wie jetzt, mehr als zwei Jahre demokratie.io vorbei? Wuuuuusch. In einem Affentempo vorbeigerauscht. Aber genau das denkt man sich meistens, wenn viel passiert ist. Klar, dass wir uns fragen: Was hat’s gebracht?  Um das nicht alleine zu beantworten, hatten wir für den 21.11. zu einem letzten Tanz geladen – dem demokratie.io-Abschluss-Event. Rund 40 Gäste kamen zu uns ins bUm nach Kreuzberg, dem neuen Kollaborationsort für die engagierte Zivilgesellschaft. Unserer Einladung mit dem Titel “Demokratie digital, Teilhabe real”  folgten alte und junge Hasen der Civic-Tech-Szene, Demokratie-Enthusiast*innen und andere Weltverbesserer*innen.

Die Idee: Zusammen zurückblicken, reflektieren und gemeinsame Zukunftspfade ausmachen. Denn auch wenn demokratie.io hiemit sein Ende findet, geht unser aller Arbeit und das Engagement für die Demokratie von morgen weiter. Womöglich hat sie gerade erst richtig begonnen.

 

 

Civic Tech im System: Wo haben wir bisher gesellschaftliche Wirkung entfaltet?

Kernziel des Vormittags: Wir wollen den Status Quo verstehen, in dem (digitale) Demokratiearbeit zurzeit stattfindet. Um loslegen zu können, braucht es deshalb zunächst einmal eine Wasserstandsmeldung: Inwiefern entfaltet unsere Arbeit bisher gesellschaftliche Wirkung?

 

In einem sogenannten Conversation Café setzten wir dazu die Wirkungsbrille auf: Wie wirkt unsere Arbeit? Auf wen und für wie lange? Das taten wir zunächst alleine, dann in Kleingruppen und am Ende alle gemeinsam. Entlang der drei Kategorien Transparenz, Teilhabe, Befähigung, die wir in unserer Abschlusspublikation herausgearbeitet haben, versuchten wir unser je eigenes Engagement besser zu verstehen. Dieses Gerüst schafft Orientierung, da sich die meisten Initiativen und Projekte aus der digitalen Demokratie-Szene mehr oder weniger ausgeprägt einem dieser Bereiche zuordnen lassen. Wir wollen verstehen, was bisher schon gut funktioniert hat und wo hingegen die Herausforderungen liegen. Was verbindet unser aller Arbeit? Was nehmen wir uns für die Zukunft vor?

Das sind kurz & knapp die Ergebnisse, die wir aus der Session mitgenommen haben:

  • Eine positive Haltung zu Vielfalt entwickeln: Wir wollen versuchen, Konkurrenzsituationen unter verschiedenen Organisationen zu überwinden, mehr Vertrauen untereinander ausbilden und stärker kollaborieren. Es gilt zu erkennen, dass es nicht die eine Lösung, sondern eine Vielzahl von Lösungen, unterschiedlichen Ansätzen und Zielgruppen gibt.
  • Abwägen was wirkt: Sollen wir versuchen, das große Ganze oder einzelne Akteur*innen zu stärken? Wie wirksam ist meine Arbeit ohne institutionellen Anker? Wie erhalten wir unsere Motivation, wenn Wirkung ausbleibt?
  • “Action-wirksame Vernetzung” schaffen: Wir müssen uns untereinander vernetzen, um gemeinsam zu einem größeren Ziel zu kommen. Nur so können wir auf die Makroebene – also die politische und gesamtgesellschaftliche Ebene – Einfluss nehmen.

Das Conversation Café hat uns Schnittstellen und geteilte Erfahrungen aufgezeigt. Das war gut, um ins Gespräch zu kommen und auszuloten, welche gemeinsamen Anstrengungen man in Zukunft unternehmen kann. Ein erster Haken für den Praxisaustausch, denn der war sinnvoll. Dennoch schön und wichtig, dass das noch nicht alles war. Denn auch auf einer theoretischen Ebene wollen wir gemeinsame Erkenntnisse erlangen. Ein kleines Fazit von der Metaebene gestaltet sich am besten mit einer Fragestellung,die direkt und indirekt stets präsent war, wenn wir über die Wirkung unserer Arbeit nachdachten:

Wie hängt alles zusammen?

Diese Frage bleibt fürs Erste unbeantwortet. Aber wie heißt es so schön: keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen! Und manchmal eben auch vorerst gar keine Antworten.  Dafür öffnen Fragen einen Raum, anstatt ihn zu schließen. Sie führen zu weiteren Fragen, mit denen wir ein Feld erkunden können. Sie dienen uns als Wegmarken, anhand derer wir Zusammenhänge ergründen und verstehen können. Solche Fragen sind etwa: Wo liegt der Hebel, um möglichst große Wirkung zu entfalten? Sollten wir uns mit dem Individuum oder dem System beschäftigen? Welche Rolle spielen wir als Zivilgesellschaft im gesamtgesellschaftlichen System?

Open Space: Was ist der nächste Schritt?

Nun wollten wir konkret werden und unsere geballte Kreativität und Expertise nutzen, um in kleinen Gruppen an bestimmten Themen  und Herausforderungen zu tüfteln. Ob diese nun in der vorigen Session ans Licht kamen oder uns schon länger auf der Seele brannten – hier gab es Platz dafür. So entwickelte eine Gruppe etwa ein Akteursmapping der digitalen Zivilgesellschaft, eine andere diskutierte darüber, wie sich die Zivilgesellschaft gegenüber der Tech-Konzerne verhalten solle. Eine nächste wiederum beschäftigte sich mit der kommenden EU-Förderperiode und der Frage, wie man als kleine Organisation davon profitieren könne. Wer klare Kante zeigen und seine Stimme hörbar machen wollte, konnte auch mit Gleichgesinnten an konkreten politischen Forderungen der Civic-Tech-Community arbeiten. Wir dürfen gespannt bleiben, wie sich das hier Angestoßene später in der Welt manifestiert!

 

Shift & Share: Tuchfühlung mit dem aktuellen Stand der Gewinnerprojekte

In dieser Session stellten sich die diesjährigen Gewinnerprojekte vor. So konnte man von Station zu Station wandern – die je von einem Projekt betreut wurde – und mehr darüber erfahren, mit welchem Ansatz und welchem Tool sie die Demokratie von morgen bereichern. Über die Projekte welobby, DeCIDe, SpeakUp, Ezra und Tracemap haben wir auf diesem Blog schon vielfach berichtet. Wer mehr zu allen Gewinnerprojekten bei demokratie.io wissen will, schaut am besten mal in unsere Rubrik Learning Journey.

 

Celebritiy Interview

Nach der vielen Interaktion wurde es nun etwas entspannter – zumindest für die Teilnehmer*innen! Denn geladen hatten wir nun mit Paulina Fröhlich einen Gast, der im Format “Celebrity Interview” aus dem Nähkästchen plauderte. Paulina ist Mitgründerin von Kleiner 5, einer Initiative, die sich gegen Rechtspopulismus und für demokratische Teilhabe einsetzt. Mit den Kampagnen, in denen Online- wie Offline-Elemente sinnvoll kombiniert wurden, hat die Initiative viel Aufmerksamkeit erregt. Vor Publikum unterhielten wir uns mit Paulina über den Charme der Aktionen, den Umgang mit Meinungsvielfalt und auch, wie man beim gefühlten Kampf gegen Windmühlen die Motivation beibehält.

Am Ende blieb eines ganz besonders in Erinnerung: Neben den vielen Ansätzen, die wir brauchen, um eine zukunftsfähige Demokratie zu gestalten, ist es vor allem die Notwendigkeit von Zukunftsvisionen, die uns Orientierung geben können. Wie sieht ein Gesellschaftsentwurf aus, der von mehr als einem sich selbst erhaltenden System geprägt ist, der nicht am Status Quo festhält, sondern wirklich den Sprung ins Ungewisse wagt? Auch hinter diese Frage konnten wir in diesem Moment keinen Punkt setzen, doch es lag in der Luft, dass die (digitale) Zivilgesellschaft bei einem solchen Zukunftsentwurf würde mitmischen müssen. Aufbruchsstimmung, könnte man meinen.

 

Fish Bowl: Wo liegt der Hebel von Civic Tech für die Demokratie?

Der letzte Agendapunkt wollte der Komplexität des Themenfeldes Rechnung tragen und stellte in einer UX Fish Bowl die Frage nach den Systemlogiken von Politikbetrieb, Demokratieförderung und der digitalen Zivilgesellschaft. UX steht für User Experience und meint in diesem Format, dass sich sich der äußere Kreis der Zuhörer*innen immer wieder untereinander austauscht und dann Input in die innere Runde gibt, in der die Expert*innen sitzen. Anders als bei einer gewöhnlichen Fish Bowl bleibt die Besetzung des inneren Kreises über die ganze Dauer des Formats unverändert. Gespannt horchten wir also zunächst den dort Sitzenden: Lea Pfau (Open Knowledge Foundation), Anja Adler (Open State),  Paulina Fröhlich (Kleiner5 / Progressives Zentrum) und Clarissa Khan (Gemeinnützige Hertie Stiftung).

Mit der einleitenden Frage “Wo liegt der Hebel für Civic-Tech für die Demokratie?” ließen wir den Dingen ihren Lauf. Hier haben wir ein paar Stimmen aus der Fish Bowl für Euch gesammelt:

“Civic Tech übernimmt fundamentale Arbeit. Digitales Ehrenamt muss ernster genommen, mehr gewürdigt werden.”

“Alternative Finanzierungsmodelle abseits von Tech Firmen sind möglich (z.B. Ecosia)”

“Civic Tech fehlt es an Breitenwirkung, da Entwickler*innen sind eine sehr homogene Crowd sind. Die Förderlogik könnte deshalb auf mehr Heterogenität aus sein.”

“Förderer sprechen sich nicht ab – das wäre aber sinnvoll, um auch an kleineren u.U. visionären Ideen zu arbeiten; starre Strukturen der Förderer (Stiftungen) kommen mit Innovation nicht unbedingt klar. “

“Für eine konstruktive Gesellschaftskritik müssen wir funktionale Alternativen anbieten.”

 

Und damit sind wir am End des Tages sowie am Ende des Projekts demokratie.io angekommen. Wir sagen: Tschüss!!! Vielen Dank, dass ihr uns über zwei schöne Jahre begleitet habt.