Die Demokratie dem Zufall überlassen?

Wie Zufallsauswahl und digitale Identitäten die Demokratie bereichern könnten

Seit einigen Jahren nehmen viele Menschen eine immer breiter werdende Kluft zwischen BürgerInnen und ihren Regierungsorganisationen – und das auf allen politischen Ebenen – wahr. Das 2018 ins Leben gerufene Projekt Digital Identity, European Citizenship and the Future of Democracy (DeCIDe) ist der Ansicht, dass moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) diese Kluft überbrücken können und somit den BürgerInnen mehr Mitspracherecht in der Politik ermöglichen.

Mithilfe dieser Instrumente soll der immer stärker werdenden Politikverdrossenheit etwas entgegengesetzt und der Weg zu einer lebendigeren Demokratie geebnet werden. Wir erwarten, dass in absehbarer Zeit sichere digitale Identitäten für alle BürgerInnen zur Normalität geworden sind. Das Ziel:  Algorithmische Umsetzung von Losverfahren (RSV) und digitale Identitäten befähigen politische VertreterInnen regelmäßig Abstimmungen und Meinungsumfragen durchzuführen und deren Ergebnisse zu berücksichtigen.

Das Losverfahren hat bereits eine längere Geschichte in der politischen Theorie und verweist auf das politisch-philosophische Konzept der Demarchie. Diese Herrschaftsform war besonders verbreitet in der Athener Demokratie (Boule bzw. Rat der 500) und in den italienischen Städten der Renaissance (Venedig, Florenz) sogar bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Im Rahmen der aktuellen Diskussionen über Möglichkeiten von BürgerInnenpartizipation gewann das Losverfahren erneut Aufmerksamkeit in der Politik – und zwar durch mehrere politische Experimente wie z.B. den BürgerInnenausschuss zur Verfassungsreform in Island 2010 und die Citizens’ Assembly in Irland 2013. Unser Ziel ist es nun diese Idee ins Digitale zu übertragen. Nach einer einmaligen Registrierung und Verifikation der TeilnehmerInnen im System soll es möglich sein, eine für jede Fragestellung zufällig ausgewählten Teilmenge über eine konkrete Fragestellung abstimmen zu lassen.

Dafür benötigen wir neben dem Ansatz des Random-Sample Voting, das von dem amerikanischen Kryptologen David Chaum und seinem Team bereits entwickelt wurde, eine sichere Identitätslösung, um ein digitales Register für die Zufallsauswahl bereitzustellen. Diese wird uns von der Procivis AG zur Verfügung gestellt und ist bereits im schweizer Kanton Schaffhausen erfolgreich im Einsatz.

Unser Ziel ist eine Integration beider Lösungen zu einem Gesamtsystem, das modernen Ansprüchen von Benutzungsfreundlichkeit und Sicherheit genügt. Dabei wird das DECiDe-Projekt am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) von unseren Kooperationspartnerinnen der schweizer Procivis AG, der Random-Sample Working Group, dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), dem Düsseldorf Institut für Internet und Demokratie (DIID) sowie dem Projekt The Humanized Internet (THI) unterstützt.

Um eine bessere Vorstellung über die Gestaltung eines solchen Systems zu erhalten, wurde im Januar 2019 ein Feldversuch mit den vorhandenen Komponenten an der Humboldt-Universität zu Berlin mit etwa 100 Studierenden in Vorlesungen der Juristischen Fakultät und dem Institut für Informatik durchgeführt. Die dabei gesammelten Erkenntnisse werden nun in unsere Entwicklungsarbeit einfließen.

Parallel dazu sind wir auf der Suche nach einer Kommune oder Organisation, in der wir den aus unserer Arbeit entstandenen Prototypen Mitte 2019 in einem weiteren Feldtest erproben können. Sollte eure Organisation also in den nächsten Monaten ein Beteiligungsverfahren planen, das sich für ein Stimmungsbild per Losverfahren eignen würde, könnt ihr uns gerne per Mail (decide@hiig.de) kontaktieren!