„Offene Daten retten Leben“

In den letzten drei Blogbeiträgen haben wir viel über Grundsätzliches, die technischen Hintergründe des Projektes und wodurch sich diese Projekt von klassischen Mängelmeldern unterscheidet, berichtet. Dennoch haben wir bemerkt, dass es sowohl für viele BürgerInnen, als auch für datenbereitstellenden Organisationen, schwierig ist, sich unter so abstrakten Konzepten wie „Demokratie“, „Informationsfreiheit“, „Offenen Daten“, „Dezentralität“, „Datenschutz“ und „Datenqualität“ etwas konkretes vorstellen zu können. Während wir dachten, dass so ein „Mängel- und Anliegenmelder“ eigentlich eine recht offensichtliche und sich selbst erklärende Anwendung einer jeden digitalen Stadt sei, scheint dies für viele BürgerInnen nur ein weiteres, abstraktes Konzept zu bleiben.

Gleichzeitig nähert sich dieses Projekt im Sommer diesen Jahres auch so langsam seinem Ende. Zeit zu reflektieren, was man bislang erreicht hat, was man selbst und andere mit dem, was man erreicht hat, konkret anfangen kann und wie es weitergehen könnte. Auch ist die Finanzierung eines solchen Projektes nie ein Leichtes. Zu schnell wird man von einzelnen Geldgebern und ihrer ganz eigenen Agenda abhängig. Da eine fehlende Relevanz natürlich weder für Demokraten noch für Informatiker ein erstrebenswerter Zustand ist, haben wir auf dem letzten demokratie.io-Treffen in Berlin die provokante Frage gestellt: „demokratie.tabu – Erklär Dein Projekt ohne die Worte: Gemeinnützigkeit, Demokratie, Transparenz, Partizipation. Wie würde dies Dein Projekt verändern? Welche neuen Zielgruppen würden damit angesprochen?“ Erfreulicherweise hatten alle Projekte hierfür mehrere gute Konzepte parat. Für unser Projekt sehen wir hierbei beispielhaft die folgenden sehr anwendungsorientierten Szenarien:

„Mobilität ist vor allem auch Teilhabe“

Seit Ende der 1990er Jahren versuchen viele IT-Projekte, die in Deutschland sehr zergliederte Mobilität besser zu organisieren und zumindest die notwendigsten Fahrplan- und Echtzeitdaten – zum Wohle der Kunden –  zwischen all den Anbietern auszutauschen. Ein solches Projekt ist die Durchgängige ELektronische FahrgastInformation (DELFI), welches vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), mit der Intention die Zugangshemmnisse zum öffentlichen Verkehr durch einfache, verständliche und vollständige Verbindungsinformationen zu senken, initiiert wurde. Auf ähnliche Art und Weise, aber in einem größeren Kontext, bietet das offene Datenportal „mCLOUD“ einen schnellen, unkomplizierten und kostenlosen Zugriff auf Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten und der Mobilitäts Daten Marktplatz (MDM) bundesweite Informationen über Verkehrsströme, Staus, Baustellen, Kraftstoffpreise, Parkmöglichkeiten und vieles mehr. Auf EU-Ebene versuchen Initiativen rund um Intelligent transport systems (ITS) solch einen Datenaustausch zwischen allen Mitgliedsländern zu etablieren, um nicht zuletzt den Digitalen EU-Binnenmarkt nachhaltig zu stärken.

MDM-Konferenz 2018

Auf der diesjährigen MDM-Konferenz haben wir im Rahmen des dort angebotenen Open Space-Formates unser „Un/Sichtbares Jena“-Projekt vorgestellt und vor allem natürlich versucht Feedback von den anwesenden Datengebern, Datenverteilern und Datennutzern zu erhalten. Schon im Vorfeld unserer Session waren wir überrascht wie häufig das Thema Datenqualität und strukturiertes Feedback für bereitgestellt Daten als „noch fehlendes Feature“ thematisiert wurde. So hat ein Vertreter des Nationalen Accesspoints Österreich beispielsweise in seiner Session bemängelt, dass das reine Bereitstellen von Daten, ohne zu wissen, wie die Daten genutzt werden, welche sinnvoll und begehrt, welche eher unnötig oder unvollständig sind, zwar im Sinne des reinen Open Data-Gedankens positiv wäre, aber wenig hilfreich, um konkrete Fragestellungen zu lösen oder das Angebot weiterzuentwickeln. Viele Datennutzer wollen von Zeit zu Zeit schlicht ihre Datengeber erreichen und ihnen Feedback geben. Wenn hier nur Telefon und E-Mail zur Verfügung stehen, dann kann dies kaum als durchgehend digitale Lösung angesehen werden. Zu häufig betrachten sich vor allem die Datenaustauschplattformen noch zu sehr im reinen Business-2-Business-Bereich (B2B), obwohl Prof. Krcmar vom Münchner Kreis, der Orientierung in der digitalen Welt geben will, daran erinnert, dass Mobilität vor allem auch gesellschaftliche Teilhabe bedeutet. Feedback in solchen Systemen soll also nicht nur der Korrektur einzelner falscher Datensätze dienen, sondern auch bislang marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft Gehör verschaffen. Somit sollten sich solche Plattformen eigentlich eher im Endnutzerbereich (B2B2C) sehen.

Eins der bekanntesten Beispiele hierfür ist sicherlich der unerwartete große Erfolg der Aufzugs-API der Deutschen Bahn. Für einen gehbehinderten Menschen, welcher auf funktionierende Aufzüge angewiesen ist, sind reine Fahrplandaten notwendig, aber nicht hinreichend, um mobil zu sein. Marginalisierte Gruppen können mitunter aber auch ganze Dörfer sein: So gibt es in den vielen Seitentälern Jenas so einige Dörfer die vor mehr als 20 Jahren mit der Aussicht und dem Versprechen auf eine umfassende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zur Eingemeindung überredet wurden. Doch passiert ist häufig zu wenig. Der Unmut wächst.

In diesen Beispielen wird vor allem auch deutlich, dass nicht immer der eigentliche Datengeber Ziel des Feedbacks ist (z.B. die Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn), sondern unter Umständen Dritte (z.B. Station & Service der Deutschen Bahn und Aufzugsdienstleister). Zweck von Feedback auf Datenaustauschplattformen ist also vor allem erstmal das Verständnis zwischen mehreren Parteien zu fördern, wie all ihre Daten im gemeinsamen Kontext interpretiert werden und erst hierdurch Nutzen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen erbringt. Prinzip bedingt kann dies nur öffentlich stattfinden.

„Offene Daten retten Leben“

PULS Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes

Ein zweiter konkreter Anwendungsfall für die Bedeutung von Feedbacksystemen kommt aus unserer fränkischen Partnerstadt Erlangen. Startups wie Cardi-Link aus dem dortigen „Medical Valley“ entwickelt ein System zur IoT-gestützten Überwachung von Defibrillatoren. Hintergrund ist das der plötzliche Herzstillstand noch immer ein zu wenig beachtetes Problem in unserer Gesellschaft darstellt. Tritt ein Notfall ein gilt: „Jede Sekunde zählt!“ Mit jeder Minute die ohne medizinisch Hilfe vergeht sinkt die komplikationsfreie Überlebenswahrscheinlichkeit um geschätzte 10% (Quelle). In Ergänzung zu den bekannten Erste-Hilfe-Maßnahmen, könnten Defibrillatoren diese Chance signifikante verbessern. Doch: Wo finde ich im Notfall eigentlich erstmal so einen Defibrillator? Wie komme ich dort möglichst schnell hin? Werde ich dort vor verschlossener Türe stehen? Ist der Defibrillator auch wirklich noch da, wenn ich angekommen sein werde? Wird dieser gerade anderweitig in Benutzung oder in Wartung sein? Hat der Akku noch genug Kapazität? Sind die Elektroden weder bereits zerfallen noch gestohlen?

Wie man erkennen kann, sind wiederum die reinen Standortdaten von Defibrillatoren als Open Data beispielsweise im Kartenportal oder SmartPhone-App einer Stadt oder in der Open Street Map eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Information, ob einem Menschen im Notfall geholfen werden kann.  Cardi-Link ergänzt und validiert nun beispielsweise einmal am Tag die technische Verfügbarkeit eines Defibrillators indem die Ergebnisse der Selbsttests eines jeden Defibrillators via IoT übermittelt wird. Somit werden die Offenen Standortdaten validiert und ihre Qualität so weit gesichert, dass unter Umständen zukünftig auch Notrufzentralen rechtssicher Ersthelfern empfehlen könnten möglichst schnell den nächstgelegenen Defibrillator zu besorgen und zu verwenden.

Doch trotz all der IoT-Technologie sind viele Faktoren im Umfeld eines Defibrillators nicht mit technischen Selbsttests erfassbar. Defibrillatoren sind ja meist in Innenräumen (öffentlicher) Gebäude zu finden. Deshalb braucht es zusätzliche qualitativ hochwertige Stadtpläne, Informationen über den Weg dorthin, das Gebäude und die Öffnungszeiten, damit ein Defibrillator vor Ort schnell und einfach gefunden werden kann. Für diese Informationen wiederum braucht es ein öffentliches Feedbacksystem, ob diese Informationen korrekt, hilfreich und noch immer aktuell sind. Gerade Öffnungszeiten sind dies häufig nicht (mehr).