“Die Schulleitung macht ja eh, was sie will”

Eine Aufgabe der Schule besteht darin, Kinder und Jugendliche auf das Leben vorzubereiten. Dazu gehört auch, sie zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. Dieser elementare Baustein für die Demokratie kommt in vielen Fällen momentan leider etwas zu kurz. Die politische Bildung von Jugendlichen wird einfach in das Fach Politik oder Gemeinschaftskunde gepackt und innerhalb von ein oder zwei Jahren theoretisch abgehandelt. Doch lernen die Schülerinnen und Schüler wirklich, wie das demokratische Leben funktioniert, wenn sie – überspitzt gesagt – nur die deutschen Institutionen kennenlernen? Die meisten Schulabsolventinnen und -absolventen, mit den wir in den vergangen Jahren gesprochen haben, fühlen sich nicht wirklich gut auf das “Erwachsenenleben” vorbereitet – geschweige denn auf ihre Rolle als mündige Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie.

Schule als autoritäres System

Das Problem liegt vielleicht schon im Schulsystem selbst, welches oft autoritär und sehr hierarchisch aufgebaut ist. Auf den ersten Blick scheint erstmal nichts demokratisch: An der Spitze steht die Schulleiterin oder der Schulleiter, die oder der über die Schule wacht und die wichtigen Entscheidungen trifft. Danach folgen die Lehrerinnen und Lehrer, die – mal mehr, mal weniger – der Schulleitung folgen (müssen) und am Ende der “Nahrungskette Schule” stehen die Schülerinnen und Schüler. In diesem klassischen System, welches so seit Jahrzehnten existiert und in vielen Schulen noch “gelebt” wird (natürlich gibt es auch andere Schulen und Schulformen, die wir ebenfalls kennenlernen durften), nehmen Schülerinnen und Schüler meist nur Befehle entgegen. Sie lernen, dass sie leichter durch den Schulalltag kommen und bessere Noten erhalten, wenn sie gehorchen.

Warum das so ist? Weil es einfacher ist. Die Schülerinnen und Schüler in Entscheidungen einzubeziehen und sie wirklich an der Gestaltung des Schulumfelds (und damit auch den Schulregeln) zu beteiligen, bedeutet ein Kontrollverlust für die Schulleitung sowie Lehrerinnen und Lehrer. Und davor haben einige Angst. Das ist im stressigen Alltag der Lehrerinnen und Lehrer durchaus verständlich. Der positive Effekt einer stärkeren Beteiligung der gesamte Schülerschaft kann aber die negativen Effekte weit übersteigen und ist ein Zeichen, dass wir die Kinder und Jugendlichen ernst nehmen.

Schockiert und dadurch motiviert

Bei einer aula-Einführung an der Pestalozzi-Realschule in Freiburg kam ein Schüler der 8. Klasse nach der Stunde auf mich zu und fragte: “Herr Schumacher, was soll der ganze Scheiß. Die Lehrer und die Schulleitung machen ja eh was sie wollen”. Dieser Satz hat mich zum einen schockiert und zum anderen motiviert.
Schockiert, weil ich den Satz nicht aus dem Mund eines 8-Klässlers erwartet hätte. Oft genug habe ich ähnliche Sätze auf Demos, politischen Veranstaltungen oder im Fernsehen gehört. “Die da oben machen ja eh, was sie wollen” – der Glaube, dass die Politik nichts für den “kleinen Mann” oder die “kleine Frau” tut. Diesen Satz aber nun im Schulkontext zu hören, finde ich persönlich schrecklich, sogar beängstigend. Sollten wir nicht in der Schule eine Generation ausbilden, die nicht bereits ohnmächtig und ohne Hoffnung das erste Mal an die Wahlurne tritt?
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Der Satz hat mich und alle im aula-Team motiviert. Wir erzählen oft, welche Vorteile und welchen Nutzen unser aula-Projekt hat. Sei es die Verknüpfung von Demokratie- und Medienkompetenzen, die Möglichkeiten der Plattform oder der didaktische Leitfaden – der wichtigste Punkt für mich ist ein anderer. Schülerinnen und Schüler begreifen, dass ihre Ideen und damit auch sie selbst von der Schule (Gesellschaft) ernst genommen werden. Sie lernen ihre eigene Umgebung mitzugestalten und auch Verantwortung zu übernehmen. Ein paar konkrete Beispiele veranschaulichen das vielleicht besser:

  • Natürlich wird ihre Idee nicht direkt umgesetzt, wenn sie nichts dafür tun
  • Die Schüler*innen merken, dass es oft Sinn macht, sich mit anderen Leuten zusammenzuschließen, die ähnliche Ideen haben, um eine Sache durchzubringen
  • Sie durchdenken Konsequenzen ihrer Forderungen und schließen Kompromisse bzw. müssen Kompromisse schließen
  • Die Akzeptanz von (Schul-)Regeln wird deutlich erhöht
  • Wenn die Schülerinnen und Schüler geschlossen hinter einer Idee stehen und die im vorher vereinbarten Rahmen liegt, wird sie auch umgesetzt

Diese verschiedenen Punkte können in der geistigen Entwicklung eines Kindes und jungen Erwachsenen so viele positive Effekte auslösen. Sie erwerben Kompetenzen, die sie in ihrer Berufswelt, bei Konflikten in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei der selbstbestimmten Verwirklichung ihres Lebenswegs und bei der Gestaltung der Gesellschaft brauchen werden.

Außerdem lernen sie nicht nur theoretisch, was Demokratie bedeutet (positiv wie negativ), sie erleben es. Mit dem Projekt aula versuchen wir daher mehr Partizipation für Schülerinnen und Schüler einzufordern und geben der gesamten Schulgemeinschaft eine zeitgemäße Option der Organisation. Allerdings muss das Aufbrechen des bestehenden (autoritären) Schulsystems gewollt werden, damit Partizipation auch gelingt. Und hier liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis aus “die da oben machen eh, was sie wollen” ein “gemeinsam können wir die Schule (Gesellschaft) von morgen gestalten” wird.